Sonntag, 2. Juni 2013


Abt. Stell Dir vor, Du bist... - heute: tot!


Erst seit kurzem. Vielleicht erst einige Stunden. Dein Körper ist noch warm, einige Grad Celsius über Raumtemperatur.

Jetzt versetz Dich in jenen Menschen unter Deinen Liebsten, der / die dem Staat innert 48 Stunden (gesetzlich vorgeschriebene Frist) Deinen Tod melden muss.

Deine Nächsten sind im Schockzustand. Ob absehbar war, dass Dein Herz bald stillstehen würde, oder ob Du für alle überraschend aus dem Leben gerissen wurdest. Auf den nächsten paar Zeilen geht's um einen organisatorischen, logistischen Aspekt in dieser schwierigen Situation Deines nächsten Umfelds.

Jetzt muss irgendjemand innert 48 Stunden, nachdem eine medizinische Fachperson per Unterschrift bestätigt hat, dass Du tatsächlich nicht mehr unter uns bist, Deinen Tod den Behörden melden.

Wie stellst Du Dir diesen Gang Deiner Partnerin, Deines Partners, Deines Kindes, Deines Elternteils, oder jemandes anderen nahestehenden, vor? Wohin soll dieser schwere Gang die Person führen? Wie und wo soll der Staat die Person empfangen, die dessen Apparat Deinen Tod persönlich melden muss? Der Überbringer / die Überbringerin der Nachricht weiss erst seit wenigen Stunden, dass Du tot bist. Wirklich angekommen ist die traurige Tatsache noch nicht bei diesem Menschen.

In der Amtsstelle muss er / sie dem Staatsangestellten die folgenden Fragen über Dich beantworten (offizielle Liste):

Hast Du zu Lebzeiten eine Bestattungserklärung, eine Verfügung, ein Testament oder ein ähnliches Schriftstück über die Art und Weise der Bestattung verfasst und vielleicht irgend­ wo hinterlegt? – Welcher Art soll Deine Bestattung sein? (Erdbestattung oder Kremation) – Willst Du einen unentgeltlichen Sarg bzw. eine unentgeltliche Urne oder einen Privatsarg bzw. eine Privaturne? – Sollst Du unentgeltliche Wäsche (das so genannte «Leichenhemd») oder Privatwäsche tragen? – Darfst Du aufgebahrt werden (falls dies aus sanitarischen und ästhetischen Gründen möglich ist)? – Willst Du bei Deiner Aufbahrung einen (kostenpflichtigen) Blumenschmuck auf dem Sarg? – Soll Deine Bestattung still oder öffentlich sein? – Nach welchem Ritus oder Brauch soll Deine Bestattung stattfinden? – Wird Deine Bestattung mit einer Trauerfeier verbunden? – Soll Dein Tod in der Zeitung veröffentlicht werden? – In welcher Art von Grab soll Dein Sarg oder Deine Urne beigesetzt werden?
Wo soll diese Klärung stattfinden?

  1. In würdigem, ruhigem, angemessenem Rahmen in der Stadt, unter den Lebenden? Da, wo Du vor kurzem noch dazugehörtest?

oder

  1. Am Eingang zur grössten Totenstadt der Schweiz? Dort, wo Deine sterblichen Überreste, neben jenen von mehreren tausend anderen, bald ruhen werden?

Wo, denkst Du, fällt es der Dir nahestenden Person in diesem schwierigen Moment, leichter, diese Formalitäten zu erledigen? Unter den Lebenden oder den Toten?

Warum die merkwürdige Frage?

Weil die baselstädtische Regierung unlängst beschlossen hat, dass der Ort von 1. nach 2. verlegt werden soll. Den Grund kannst Du Dir denken. Er folgt dem üblichen Mantra: Um Abläufe zu optimieren und ein paar zehntausend Franken einzusparen. Marc Lüthi, ehem. Stadtpräsident von Liestal und heute Leiter Bestattungswesen in Basel, sagt über die Kosteneinsparung, laut Chrstian Mensch in der "Schweiz am Sonntag" vom 21.4.2013:

In einem ersten Schritt können 60 000 Franken gespart werden.
Noch befindet sich die "Anmeldung für Todesfälle und Bestattungen", an der Rittergasse 11, im 3. Stock (Büro 34). Im Estrich des Zivilstandsamts. Kein optimales Setting. Verbesserungsfähig, mit ein bisschen gutem Willen seitens der Regierung. Wenn sie ein Sensorium hätte dafür, dass es sehr entscheidend ist, wie Menschen in genau diesem schwierigen Moment, in diesen Minuten und Stunden, den Staat erleben.

Als Denkanstoss: In Zürich ist die Amtsstelle im Stadthaus untergebracht. Viel zentraler geht nicht:


Größere Kartenansicht

Der baselstädtische SP-Grossrat Jürg Meyer bat die Regierung in einer Interpellation, ihren Entscheid nochmals zu überdenken. Und stiess damit auf taube Ohren. Sie bleibt dabei. Wenn Du tot bist, muss eine Dir sehr nahe stehende Person, kaum hat Dein Herz aufgehört zu schlagen und sie hat davon erfahren, im Zustand dieser Erschütterung, ab 2014 an die Pforten der Totenstadt klopfen und die Staatsvertreter informieren.

Die Frage ist: Wollen wir, morituri, die wir alle sind, unseren Nachfolgenden das so zumuten? Wollen wir die Verantwortlichen für den eiskalten, empathielosen Entscheid (mit absolut lächerlichen Einsparungen) damit durchkommen lassen?


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