Donnerstag, 18. Juli 2013


Abt. Mikropolitik - Regierung: Wohnraum für Gespenster!


Aus dem Gegenvorschlag der Regierung zur Initiative des Mieterverbandes "Bezahlbares und sicheres Wohnen für alle!", über die wir in Basel-Stadt am 22.9.2013 abstimmen, S. 49, Sachziele:

1. Moderates Wachstum der Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt. Bis 2030 wird eine Bevölkerungszahl von 200'000 Einwohnerinnen und Einwohnern angestrebt.
Ratschlag Seite 51, Abbildung 15:
Gegenüberstellung von Entwicklungsbedarf und Entwicklungspotenzialen Kanton Basel- Stadt bis 2030
So sieht das aus:

Bis 2030 soll Basel also 200'000 Menschen beherbergen. Das sind rund 8'000 mehr als heute. Ok. Bring 'em on! Herzlich willkommen! Also braucht's Wohnraum für 8'000 Menschen mehr. Logisch.

Aber: Die Regierung will in ihrer "Förderstrategie" gleich noch zusätzlich Wohnraum für 9'400 so genannte "Einwohneräquivalente" schaffen (lassen), die's realiter nicht gibt, die auch nie nach Basel ziehen und auch nie Steuern zahlen werden.

Die Regierung will Wohnraum für Gespenster!

Die Notwendigkeit für den Wohnraum für diese 9'400 frei erfundenen, fiktiven "Einwohneräquivalente" zaubert die Regierung aus dem Hut, in dem sie unterstellt, wir wollten alle immer verschwenderischer umgehen mit der Ressource Raum. Sie behauptet das nicht nur, die Regierung will das mit ihrer so genannten "Wohnraumförderstrategie" sogar noch aktiv unterstützen!

Der angeblich notwendige Wohnraum für die 9'400 Gespenster phantasiert die Regierung in ihre Strategie und ihre Grafiken, weil sie den Mythos des "wachsenden Flächenverbrauchs pro Kopf" unhinterfragt fortschreibt.

Nur so kann sie eine Strategie aufbauen, die bis 2030 54% des neuen Wohnraums offiziell für Gespenster plant. Und nur 46% für reale Menschen:

Das hat natürlich verheerende Folgen auf verschiedensten Ebenen!

Schauen wir uns an, wie die Säulen aussähen, wenn sie nur die Planung für reale Menschen ausdrücken und nicht noch die Förderung von zunehmender Raumverschwendung, den Wohnraum für die 9'400 Gespenster, beinhalten würde:

Das sieht natürlich nicht so sexy aus für Pensionskassen und andere Investoren. Plötzlich braucht's vielleicht gar keine Wohnhochhäuser mehr vis-à-vis der Kraftwerksinsel Birsfelden, wie u.a. Roger Diener sie gern gebaut sähe,

weil für die 8'000 Neuankömmlinge bis 2030 anderenorts lange genug Platz geschaffen werden kann in Basel!

Aber warum soll diese irrwitzige Raumverschwendung aktiv geplant und sogar staatlich gefördert werden? Mit allen negativen Konsequenzen, die sie mit sich bringt?

Wenn die Regierung nicht auch noch für Gespenster planen würde (zweite Grafik hier), ist zum Beispiel plötzlich überhaupt nicht mehr einsichtig, warum das "Gesetz über Abbruch und Zweckentfremdung" (GAZW) entkernt werden soll, was die Regierung in ihrem angeblichen "Gegenvorschlag" auch gleich noch durchpeitschen will, nur damit Investoren einfacher günstigen Wohnraum durch hochpreisige Neubauten ersetzen können. In der Sprache des Ratschlags, S. 63:

Es zeigt sich, dass die Abbruchbewilligungspflicht nach geltendem Recht (GAZW) investitionskritische Signale aussendet. So werden die umfangreichen baulichen Regulierungen im Stadtkanton immer wieder durch Akteure des Wohnungsbaus kritisiert. Dies steht im Widerspruch zu den Bemühungen, gute Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen. Die zwingende Bewilligungserteilung für Abbruch bei Schaffung von mindestens gleich viel Wohnraum – vorbehältlich der Einhaltung der nutzungsplanerischen Vorschriften zum Wohnanteil, die Bewilligungsfreiheit für Teilabbruch und die aktualisierten Bewilligungskriterien für Zweckentfremdung stellen diesbezüglich Verbesserungen dar.
Verbesserungen für die Investoren und Hausbesitzer nota bene. Nicht zwingend für die BewohnerInnen! Wer, wie die Kantonsregierung, Wohnraum für Gespenster plant, hat offenbar wenig am Hut mit den realen Menschen in Basel.


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Abt. Mikropolitik - heute: Der Wohnflächenbedarf sinkt!


Die Analyse der Regierung in ihrem Gegenvorschlag zur Initiative des Mieterverbandes "Bezahlbares und sicheres Wohnen für alle!", über die wir in Basel-Stadt am 22.9.2013 abstimmen, auf Seite 39:

Zwischen 1990 und 2000 ist die Wohndichte im Kanton Basel-Stadt deutlich gesunken, parallel dazu ist die mittlere Wohnfläche pro Einwohner um 10% auf knapp 43 m2 gestiegen. Verantwortlich dafür war nebst der Veränderung der sozialen Strukturen (mehr Alleinstehende, ältere Personen und veränderter Familienstrukturen) die steigende Kaufkraft.
Die Prognose der Regierung:
Eine in Zukunft etwas moderatere Fortsetzung dieser Entwicklung darf erwartet werden.
Die daraus abgeleitete Annahme der Regierung:
Für die Wohnraumentwicklungsstrategie wird ein Mehrbedarf an Wohnfläche zum Ausgleich des steigenden Flächenverbrauchs von ca. 5.5% innert 20 Jahren (respektive 2.75% pro Jahrzehnt, vgl. Kapitel 3.4.7) angenommen.
Zu Deutsch: In den 90er Jahren zogen massenhaft Menschen aus Basel weg. Das belegt das Statistische Amt tatsächlich:

Die Gebliebenen verteilten sich auf die leer werdenden Wohnungen, aus familiären Gründen und / oder weil sie sich's leisten konnten. Wer wollte es ihnen verüblen. Soweit nachvollziehbar.

ABER: Stimmt die Annahme der Regierung? Geht der Trend in dieselbe Richtung weiter? Braucht's mehr Wohnungen, weil wir mehr Fläche "wollen"?

Schauen wir mal, was in den von ihr ausgeblendeten Jahren zwischen 2000 und heute passiert ist.

Betrachten wir das Jahr 2000:

Die Anzahl Wohnungen betrug damals, laut Statistischem Amt: 104'092 Die Anzahl Menschen in Basel betrug am 31.12.00: 188'581 Und jedeR hatte, laut der Regierung, rund 43 m2 für sich.

Daraus können wir die gesamte Wohnfläche in Basel berechnen:

Menschen X Wohnfläche pro Kopf = 8'108'983 m2 Wohnfläche gab's offenbar in Basel-Stadt im Jahr 2000. Die durchschnittliche Grösse einer Wohnung war ergo im Jahr 2000: 8'108'983 m2 Gesamtwohnfläche geteilt durch 104'092 Wohnungen = 77,9m2.

Und jetzt: Spot auf das Jahr 2011!

Die Anzahl Menschen betrug Ende Jahr 192'304. Die Anzahl Wohnungen betrug: 105'583.

Die Regierung schreibt über die Zeit von 2001 bis 2010:

In den 10 Jahren des Projekts Logis Bâle wurden 2'765 Wohnungen neu erstellt. Zusätzlich sind etwa 500 Wohnungen durch Dachstockausbauten und weitere 200 durch Umnutzung von Büros entstanden. Weitere 1'200 grosszügigere Wohnungen konnten durch Zusammen- legungen von kleineren Einheiten geschaffen werden. Insgesamt sind so gut 4'600 neue und neuwertige Wohnungen entstanden.
4'600 Wohnungen, für die wir - just for the fun of it - grosszügige 120m2 Durchschnittsgrösse annehmen.

Was hat sich dadurch verändert am "Wohnflächenverbrauch pro Kopf"?

Von den 105'583 Wohnungen 2011 ziehen wir die 4'600 dank Logis Bâle entstandenen ab. An der Durchschnittsgrösse dieser verbleibenden 100'983 Wohnungen hat sich seit 2000 nichts geändert: 77,9m2. Ergibt 7'866'575m2. Dazu kommen jetzt die 4'600 X grosszügig angenommenen 120m2 = 552'000m2. Das heisst, die Gesamtwohnfläche ist in Basel-Stadt von 2000 bis 2011 in diesem Modell gestiegen von 8'108'983 m2 auf 8'418'575 m2. Teilen wir die durch die 192'304 Menschen, erhalten wir 43,8m2, wo es anno 2000 noch 43 waren. Eine Zunahme der "Wohnfläche pro Kopf" um 1,9% in zehn Jahren.

Jetzt kommt aber die Pointe: In der umständlichen Rechnung, obwohl plausibel, muss irgendwo ein krasser Fehler stecken!

Grund: Am Freitag, dem 28.6.2013, Bündelitag, war in der BaZ (Backup: 42m2-baz (application/pdf, 715 KB) ), gezeichnet von Regula Küng, Leiterin Fachstelle Stadtwohnen und Peter Näf, wirtschaftlicher Praktikant im Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt, der explosive Satz zu lesen:

In Basel-Stadt liegt der individuelle Wohnflächenbedarf heute bei 42 Quadratmeter Wohnfläche pro Person.
42! Der "Hitchhiker's Guide To The Galaxy" lässt grüssen! 42m2! Wohnfläche pro Person! 2013! Nicht mehr 43, wie 2000! Und auch nicht die 43,7 von mir, Handgelenk mal Pi, falsch errechneten. Die Profis sagen "on the record":

Der Wohnflächenbedarf pro Person in Basel-Stadt sinkt!

Wenn dies stimmt, bricht ein relevanter Pfeiler der Regierung in ihrem Argumentarium für ihre Wohnraumförderpolitik weg. Denn diese operiert mit 43 m2, and counting! Aus "43 and counting" kommt sie auf die Zahlen hier:

Der von der Regierung im Ratschlag vom August 2012 auf Seite 50 behauptete "Bedarf aus der Zunahme der Wohnfläche pro Person" im Umfang von Raum für immerhin 9'400 Menschen (a.k.a. Einwohneräquivalente) basiert auf falschen, veralteten Zahlen. Es gibt ihn schlicht nicht. Regula Küng und Peter Näf haben offenbar inzwischen bessere Daten.

Der Trend läuft in die genau entgegengesetzte Richtung. Es gibt, wenn die Küng-Näf'sche "42" korrekt ist, keinen "Bedarf aus der Zunahme der Wohnfläche pro Person"!

Es gibt vielleicht einen Bedarf nach neuen Wohnungen, aufgrund der steigenden Anzahl Menschen. Aber es geht - in gewissen Grenzen - offenbar auch ganz gut ohne. Wenn der Drang der Menschen in die Stadt gross genug ist, aber das Wohnungsangebot nicht gleich allen einen Singlehaushalt ermöglicht, dann arrangieren sich Neuzuzüger und Alteingesessene offenbar auch mit dem bestehenden Wohnraum.

Was bedeutet das am Ende? Spielt die vermeintliche "Petitesse" wirklich eine Rolle, ob dort im Ratschlag 43 oder hier im BaZ-Artikel 42 steht?

Aber Ja! In der politischen Debatte um die Initiative des Mieterverbandes spielt es sehr wohl eine wichtige Rolle, ob die Gegenseite mit korrekten Zahlen argumentiert, oder ob sie - wie's den Anschein macht - mit veralteten Daten einen so nicht vorhandenen Trend behauptet, und auf dieser Basis ein investorenfreundliches Argumentarium zusammenschustert gegen die Initiative "Bezahlbares und sicheres Wohnen für alle!".


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