Abt. Mikropolitik - heute: Bevölkerungsprognosen


Prognosen sind schwierig. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Der Kalauer ist so alt, der hat einen Bart. Aber ist immer wieder lustig.

Das Statistische Amt Basel-Stadt hat letzten Donnerstag seine '14-er-Prognosen veröffentlicht (siehe auch bz). Wie geht's also weiter?

Wir werden bis 2035 entweder deutlich mehr, oder ein bisschen mehr, oder immer weniger.

Je nach Szenario. In Zahlen:

"200'000 Einwohnerinnen und Einwohner bis 2030" gab Guy Morin vor ein paar Wochen in Basel an einer Tagung als Devise aus: ananas-folien-morin (application/pdf, 1.718 KB) (Quelle, backup). Je nach Szenario wird die Zahl allerdings bereits 2016 oder 2018 (oder gar nie) erreicht. (Dass Morin auf einer seiner Folien ausgerechnet die Überbauungspläne für das Berliner Tempelhofer Feld als "Vorbild" nannte, wogegen 200'000 Unterschriften gesammelt wurden und worüber am 25.5. in Berlin abgestimmt (!) wird, entbehrt nicht einer gewissen bitteren Ironie!)

Wie kommt man auf die Prognosen?

Das Rechenmodell basiert auf folgender demographischer Grundgleichung: Die Bevölkerung am Ende jeden Jahres entspricht dem Anfangsbestand, zuzüglich Geburten und Zuwanderungen, abzüglich Sterbefälle und Abwanderungen. Die Hypothesen, welche für diese vier demographischen Komponenten angenommen werden, determinieren das Prognoseergebnis.
Soweit so banal.

Wovon aber hängen Zu- und Abwanderung ab? Das Basler Paper schreibt dazu auf Seite 4:

In einem städtischen Umfeld besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Wohnungsbau, den Wanderungsbewegungen und dem Bevölkerungsbestand (siehe z.B. die Prognosen der Stadt Zürich und des Kantons Genf).
Und was schreibt Zürich, auf das sich Basel beruft? Hier auf Seite 12 lesen wir:
Die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Zürich ist demnach durch die Anzahl verfügbarer Wohnungen bestimmt.
Zu Deutsch: Je Wohnungen, desto Menschen. Mehr Wohnungen = mehr Menschen. Sagen die Zürcher über Zürich.

Stimmt das? Wenn die Leute Schlange stehen, um in Deine Stadt zu ziehen, und sich um jede Wohnung quasi prügeln (wie in Zürich), stimmt das vermutlich.

Wie war das in Basel die letzten Jahrzehnte? Nun ja. Bis 2008 war's, gelinde gesagt, anders:

In derselben Zeit nahm die Zahl der Wohnungen zu von etwas über 90'000 auf etwas über 105'000. In Basel stieg also die Anzahl Wohnungen, aber die Anzahl Menschen sank. Halten wir drum kurz als wichtiges Zwischenresultat fest:

Das "Zürcher Gesetz" von "je Wohnungen, desto Menschen" galt in Basel ergo - mindestens bis 2008 - überhaupt nicht!

So verlief die Bevölkerungskurve im gleichen Zeitraum in der Stadt Zürich (Minima bei 1989 und 1997, plus 11% seit 1997 bis heute [17J, +0.64%/J]; Minima nicht 2008, wie in Basel, plus 4,4% bis heute [6J, +0.73%/J]):

Trotzdem, wir erinnern uns, schreibt das Statistische Amt Basel-Stadt über die Gundlage seiner Prognosen:

In einem städtischen Umfeld besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Wohnungsbau, den Wanderungsbewegungen und dem Bevölkerungsbestand (siehe z.B. die Prognosen der Stadt Zürich und des Kantons Genf).
Setzen wir mal hier - mindestens für Basel-Stadt - ein Fragezeichen hinter die Verallgemeinerbarkeit dieser Prämisse! Und wenden uns den drei Szenarien von 2014 zu. In Klammern jeweils die Prognosen, wie sie 2011 noch in den drei Szenarien aufgestellt wurden, denn auch Prognosen unterliegen der Veränderung…

Szenario "hoch"

Damit 2035 227'000 (218'000) Menschen in Basel leben, nimmt das Paper u.a. zwei Dinge an:

  1. Es werde intensiv gebaut und entstünden bis dahin netto 13'000 (11'800) zusätzliche Wohnungen.
  2. Die Wohnungen werden ebenso dicht belegt, wie es alle Wohnungen in Basel-Stadt heute sind: pro Kopf haben wir auch 2035 42m2 (44m2).

Damit wird das "Zürcher Gesetz" ("Je Wohnungen, desto Menschen") auf Basel angewandt. Auf Seite 6 im Paper lesen wir über dieses Szenario explizit:

(…) Daher wird viel gebaut, die Wohnungspreise sind aber dennoch so hoch, dass der Wohnflächenverbrauch pro Person nicht mehr steigt. Leerstand gibt es kaum. Eine ähnliche Lage ist derzeit in der Stadt Zürich zu beobachten.
Das heisst auch, bis 2035 bleibt bei dieser Annahme die Netto-Zuwanderung in etwa so hoch, wie in den letzten 6 Jahren. Das Szenario nimmt eine andauernd hohe, kantonsexterne (!) Nachfrage nach Wohnraum in Basel-Stadt an, die durch die hohe Bautätigkeit nicht gestillt werden kann. Was an Wohnraum auf den Markt kommt, geht gleich weg an Neuzuzüger_innen, "wie warme Weggli". Und weil die Wohnungen begehrt - ergo teuer (das gefällt Kantonsbaumeister Schuhmacher) - sind, sind sie gleichbleibend mit 42m2 pro Kopf belegt.

Szenario "mittel"

Damit 2035 206'000 (196'000) Menschen in Basel leben, nimmt das Paper u.a. zwei Dinge an:

  1. Es werde etwas weniger intensiv gebaut, nämlich 9'000 (8'800) neue Wohungen bis 2035.
  2. Die Wohnungen werden weniger dicht belegt, als in BS heute. Der pro Kopf belegte Platz steigt in Szenario "mittel" 2035 auf 44m2 (47m2).

Szenario "tief"

Damit 2035 187'000 (179'000) Menschen in Basel leben, nimmt das Paper u.a. zwei Dinge an:

  1. Es werde nicht sehr intensiv gebaut, nämlich etwa 6'000 (4'400) neue Wohnungen bis 2035.
  2. Die Wohnungen werden deutlich viel weniger dicht belegt als heute. Der pro Kopf belegte Platz steigt in "Szenario tief" 2035 markant auf 46,5m2 (49m2).

Weil gebaut wird, obwohl die Bevölkerungszahl sinkt, also das Angebot irrationalerweise steigt, trotz sinkender Nachfrage (was dem "Zürcher Gesetz" diametral widerspricht…), verteilen sich die in der Stadt Bleibenden auf die im Überangebot vorhandenen Wohnungen. Das führt statistisch zu den 46,5m2 Platz pro Nase. Dieser Mechanismus führte in den vergangenen Jahrzehnten in Basel-Stadt zu dem, was Regierungspräsident Guy Morin (wie andere vor ihm schon x-fach) in eklatanter Verkehrung von Ursache und Wirkung erst unlängst in einer Präsentation vor Immobilieninvestoren wieder bezeichnete mit: "Wohnflächenverbrauch zehrte die Wohnungs-Zuwächse auf".

Die SVP ist schuld

Tritt das Szenario "tief" ein, ist die SVP schuld. In den Worten des Papers, S. 6:

Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative und die heute noch unklare Umsetzung derselben muss in diesem Kontext ebenfalls besprochen werden. Gegeben den Fall, dass die Umsetzung eine restriktivere Zuwanderungspolitik zur Folge hat, können auch die Auswirkungen dieser Initiative am ehesten mit dem Tiefen Szenario in Verbindung gebracht werden. Die reduzierte Zuwanderung führt zu einer Situation wie im obigen Abschnitt [Szenario "tief"] beschrieben.
In den Prognosen von 2011 und 2012 gab's zwar bereits ein "Szenario tief", aber da war von einer "gedämpften wirtschaftlichen Entwicklung" die Rede, die für sinkende Zuwanderung und Nachfrage nach Wohnraum verantwortlich wäre.

Wegzug attraktiver als Zuzug

In allen drei Szenarien ziehen andauernd mehr Menschen aus Basel-Stadt weg in einen anderen Kanton, als umgekehrt. Die Zahlen schwanken zwischen durchschnittlich -500 und -1'000 Personen pro Jahr. Diesem ungebrochenen "interkantonalen Wanderungsverlust" stehen in allen drei Szenarien andauernde "internationale Wanderungsgewinne" gegenüber, zwischen durchschnittlich +1'800 und +500 pro Jahr.

Ohne Zuzug von Menschen aus dem Ausland wäre die Bevölkerungszahl von Basel-Stadt also definitiv nicht zu halten, geschweige denn zu steigern.

Basel-Stadt ist offensichtlich für bereits anderswo in der Schweiz wohnhafte Menschen netto nicht attraktiv (genug). Und die Prognosen rechnen auch nicht damit, dass sich das in den nächsten 20 Jahren gross ändern wird oder gar ins Gegenteil kehrt.

Übrigens: Die unterirdische Bahn-Verbindung zwischen Bahnhof-SBB und Badischem Bahnhof, für die eine listige PR-Agentur den sympathisch klingenden Begriff "Herzstück" prägte, wird daran nichts ändern, sondern lediglich das Wohnen in der Agglo (und damit den Wegzug aus dem Kanton) noch attraktiver machen. Warum eigentlich unterstützt Basel-Stadt dieses Milliardengrab und bevölkerungspolitische Kamikazeprojekt? (Dummerchen! Jacques ist dafür. Drum!)

AutorInnen

Verantwortlich für die "Bevölkerungsszenarien 2014" zeichnen Lukas Mohler (Projektleitung), Jonas Eckenfels und Sandra Schelbert. Eine "Begleitgruppe" aus Verwaltungskadern schaute ihnen dabei auf die Finger: Hansjürg Dolder, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt des Kantons Basel-Stadt; Marc Flückiger, Jugend- und Familienförderung, Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt; Nadine Grüninger, Kantons- und Stadtentwicklung, Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt; Simon Kettner, Mobilitätsstrategie, Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt; Thomas Kessler, Kantons- und Stadtentwicklung, Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt; Birgit Meier, Gesundheitsversorgung, Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt; Martin Sandtner, Planungsamt, Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt; Peter Schwendener, Finanzverwaltung, Finanzdepartement des Kantons Basel-Stadt; Hans Georg Signer, Bereich Bildung, Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt; Thomas Steffen, Gesundheitsdienste, Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt; Markus Wirz, Bevölkerungsdienste und Migration, Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt.



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