Abt. Krankheitsmarketing



Heute in der baz. Der Tonfall: "Sie sind 50 und nicht mehr so spitz wie mit 20? Das ist krank, dagegen haben wir Hormone!" Ein klarer weiterer Fall von Krankheitsmarketing. Und die Basler Frauenklinik macht mit, Ansprechperson ist <a href=www.sgppm.ch target=_blank>Claudia Wölfle.


Lies doch die Anzeige nochmal - der Tonfall ist darin überhaupt nicht so, wie du ihn beschreibst. Und ausserdem: Was ist eigentlich so schlimm an Sex im Alter? Etwa, dass sich die Pharmaindustrie, die böse, daran eh nur wieder eine goldene Nase verdient? (By the way: Meine ich das nur oder hast du es nicht versäumt, auf infamy die letzten Quartalszahlen von Roche zu publizieren?) Oder ist Sex im Alter moralisch nicht in Ordnung? (Wenn du dereinst mal keinen mehr hochkriegst, bist du vielleicht ganz froh um eine Pille oder Hormone.) Mir scheint das jedenfalls kein so "klarer Fall" von Krankheitsmarketing, schliesslich geht's hier erst mal um eine Studie, und in der Anzeige ist nicht einmal die Rede von "Krankheit" oder gar "sexueller Dysfunktion". Ja und wer soll eine Studie zur hormonellen Behandlung der sexuellen Unlust reifer Frauen denn durchführen, wenn nicht die Frauenklinik??

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Also nochmal von vorne

1. Sex im Alter ist nicht das Thema meines Postings. Nichts ist "schlimm" an Sex im Alter. Da zielst Du voll an mir vorbei.
2. Ich nehme als Voraussetzung: Die sexuelle Aktivität sowohl von Männern wie von Frauen nimmt tendenziell ab mit dem Alter. Unterschiedlich rasch, unterschiedlich stark, individuell. Ich stelle dies, als völlig normale Entwicklung, einfach mal fest. Wenn nun eine Anzeige quasi fragt: "Sind Sie nicht mehr 20, vielleicht schon 55? Ist Ihnen Sex nicht mehr so wichtig, wie damals?" dann wird eine überwiegende Mehrheit der über 50jährigen Frauen Ja sagen. Aber nicht weil sie irgend ein Gesundheitsproblem haben. Wenn diese völlig gesunden Frauen nun aber Ja gesagt haben, dann unterschiebt ihnen die Anzeige, es stimme etwas nicht mit ihnen. Natürlich nur implizit, natürlich steht da nicht: "Sie sind krank, wenn Sie nicht mehr so Bock auf Sex haben wie mit 20!" Implizit, denn die Frauen finden sich mit ihrem Ja plötzlich verwandelt in Studienmaterial einer Untersuchung, die zeigen will, dass sich mittels Medikamenteneinsatz die im Alter abnehmende Lust korrigieren lässt. Der Grad der sexuellen Aktivität zwischen 20 und 30 wird ziemlich explizit als Norm gesetzt: "Viele Frauen in den Wechseljahren beobachten - im Vergleich zu jüngeren Jahren - unerwünschte Veränderungen ihrer Lust auf Sexualität." Des Pudels Kern sind die "unerwünschten Veränderungen". Etwas provokativ formuliert: Frauen, die bisher überhaupt kein Problem damit haben, dass ihre Lust sich verändert mit dem Alter, sollen diese normale, physiologische Entwicklung als "unerwünschte Veränderungen" sehen lernen. Und wann schluck ich Medis? In der Regel wenn irgendwas nicht ist, wie es sollte, wenn ich "an unerwünschten Veränderungen" leide. Mann! Ist das so schwer zu verstehen? Hier werden ziemlich eindeutig Probandinnen gesucht, die Viagra für Frauen an sich testen lassen wollen. Die von Dir so genannte "sexuelle Unlust reifer Frauen" brauchte bis anhin keine hormonelle Behandlung, weil sie nun mal keine Krankheit / Dysfunktion ist. Mit dieser Studie geht es darum zu zeigen, dass dieser Normalzustand eben doch behandelbar ist und also doch so etwas wie eine Krankheit. Also geht es darum, eine neue Krankheit zu etablieren: "die sexuelle Unlust reifer Frauen". Und dafür braucht es erst mal Marketing. Darum Krankheitsmarketing. Und Du bist ihm aufgesessen!

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Du schreibst, hier würden "ziemlich eindeutig Probandinnen gesucht, die Viagra für Frauen an sich testen lassen wollen", und das klingt im Tonfall fast ein bisschen entsetzt. Ich frag dich: Was soll an Viagra für Frauen (oder für Männer) schlecht sein? Wir werden immer älter und manche Leute, Männer wie Frauen, wollen in der gewonnenen Lebenszeit nicht auf Sex verzichten, so einfach ist das. Und wenn ihnen dabei mit Hormonen oder einer blauen Pille geholfen werden kann, dann geht es letztlich um gewonnene Lebensqualität. Der "Normalzustand" ist heute eben nicht mehr, dass man die "tote Hose" im Alter einfach hinnehmen muss, sondern, dass man die Wahl hat: Pille einwerfen oder es sein lassen. Keiner zwingt dich zum Glück. Dass die Pharmaindustrie "Krankheiten erfindet", wird seltsamerweise immer nur dann hervorgebracht, wenn es um Sex geht. Im Alter werden die meisten Leute mehr oder weniger vergesslich. Irgendwann hat die Pharmaindustrie, die böse, wohl beschlossen, aus dieser Normalität eine Krankheit namens Demenz zu machen um irgendwelche Pillen besser verkaufen zu können. Jesus! Krankheitsmarketing!! Wer auf einem Markt etwas verkaufen will, betreibt Marketing, sonst geht er unter, so ist das nun mal. Aber du traust den Leuten halt nicht zu, dass sie selbst entscheiden können, was sie kaufen wollen und was nicht.

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Nochmal von ganz ganz vorne, ja?

Viagra ist mir wurscht, sowohl für Männer wir für Frauen! Soll kaufen und schlucken wer will, was er oder sie will. Soll täglich zehn Mal bumsen bis er oder sie mit 90 tot umfällt, wer will. Da bin ich liberal bis auf die Knochen. Das ist nicht mein Punkt, und da greifst Du mich umsonst an, denn darum geht's mir nicht.
Moment! Was soll ich mir die Finger fusselig schreiben? Das einigermassen unverdächtige British Medical Journal hatte vor einiger Zeit einen ausführlichen Artikel, der erklärte, wie das funktioniert, was man gut und gern als Krankheitsmarketing oder "disease mongering" (<- Suche beim BMJ nach dem Begriffspaar, liefert 24 Artikel) bezeichnen kann: krankmark

(application/pdf, 236 KB)

. Seit dessen Lektüre lese ich solche Aufrufe, sich bei Studien zu beteiligen, die leidlich banale Symptome untersuchen (und medikamentös kurieren) wollen, mit kritischerem Blick.
"Wer auf einem Markt etwas verkaufen will, betreibt Marketing, sonst geht er unter, so ist das nun mal." Danke, so viel hab ich auch begriffen. Darum muss ich mir aber nicht das Denken verbieten lassen, wenn es darum geht, die Interessen dahinter zu analysieren. Das war früher mal eine vornehme journalistische Pflicht: Sich nicht von PR und Marketing über den Tisch ziehen lassen, sondern die Interessen dahinter ausrecherchieren. Aber da bin ich wohl ziemlich Old School.
Da geht's übrigens direkt zu einem Artikel mit dem Titel: "The making of a disease: female sexual dysfunction".

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Schönes Schlusswort.

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das gilt aber nicht, kommentierte Beiträge nachträglich noch ändern... Ich fand natürlich das Bekenntnis zu deiner Oldschooligkeit ein schönes Schlusswort (als dies noch ganz am Schluss stand).

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viagra isch gruusig. sex im alter isch gruusig. und haarverlust mit 40 ist eine krankheit.

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