Abt. blinder Fleck - heute: Beschäftigungszahlen


BASF und andere bauen massiv Stellen ab. Aber einer findet, wir unterlägen einem Denkfehler, wenn wir das überschätzen. Matthias Zehnder, Chefredaktor der Basellandschaftlichen Zeitung, schrieb am 27.4.:

Die Zahl der abgebauten Stellen scheint uns enorm hoch. Dabei geht vergessen, dass in Basel auch viele neue Stellen geschaffen werden. Weil das Schaffen einer Stelle keine Nachricht ist, berichten die Medien nicht darüber. Deshalb überschätzen wir die Zahl der abgebauten Stellen und wir unterschätzen die Zahl der neuen Stellen.
In Basel werden "viele neue Stellen geschaffen"? Aha? In seinem Kommentar belegt Zehnder seine Behauptung nicht. Also müssen wir selber nach Zahlen suchen.

So umittelbar einleuchtend es erscheint, dass eine aktuelle, laufend nachgeführte Statistik über die im (nicht beim!) Kanton Beschäftigten eine relevante Kenngrösse wäre zur Beurteilung der ökonomischen Prosperität eines Kantons, so ernüchternd ist die Suche danach. Sie führt ins Leere! Es gibt sie nicht.

Nicht beim kantonalen Amt für Statistik. Dort gibt's zwar eine quartalweise aktualisierte Tabelle der "Beschäftigung in der Nordwestschweiz (BESTA)". Die "Nordwestschweiz" ist aber der Zusammenzug der Zahlen von BS, BL und AG.

Und: Die BESTA ihrerseits beruht zudem nicht auf effektiven Zahlen, sondern auf einer

repräsentativen Stichprobe von 62'000 Betrieben des sekundären und tertiären Sektors.
Diese rapportieren per Fragebogen an das Bundesamt für Statistik, das die Daten nach Grossregionen (z.B. Nordwestschweiz = BS + BL + AG), nicht nach Kantonen(!) auswertet. Als Grund für diese geographische Unschärfe antwortet der zuständige Francis Saucy
L’échantillon est tiré de manière à fournir des résultats fiables au niveau des grandes régions et nous produisons des résultats à ce niveau
Auf die Frage, ob sich denn aus den Daten keine Kantonszahlen extrahieren liessen, schreibt er
Nous ne pouvons donc pas fournir des résultats pour chacun des cantons. Les cantons et grandes villes qui le souhaitent ont la possibilité de financer des compléments d’échantillon. C’est le cas de GE, NE, SG, VD et StadtZurich. Les résultats que nous produisons pour eux sont publiés directement par ces régions.
Einige Orte investieren also extra in die Beschäftigtenstatistik. Die Nordwestschweizer nicht. Ergo gibt's die Beschäftigtenzahlen zu Basel-Stadt auch: Nicht beim Bundesamt für Statistik.

Und ebenso:

Nicht beim Amt für Wirtschaft und Arbeit. Das AWA publiziert zwar fleissig jeden Monat zur "Lage auf dem Basler Arbeitsmarkt. Aber darin steht lediglich, was sich in Sachen Arbeitslosenzahlen resp. offene Stellen tut.

Hansjürg Dolder, Leiter des AWA erklärt auf Anfrage, dass auch sein Amt die Zahlen des BfS verwende. Gefragt danach, ob eine Statistik darüber existiere, wieviele Menschen auf Kantonsgebiet arbeiteten, erklärt er,

dass es auf Kantonsniveau keine aktuelle mit den Arbeitslosenzahlen vergleichbare Zahlenreihe zur Beschäftigung gibt.
Das war's dann wohl. Matthias Zehnders Behauptung, dass
in Basel auch viele neue Stellen geschaffen werden
lässt sich durch eine solide Statistik weder erhärten noch falsifizieren. Solange kann jeder zu dem Thema behaupten, was seinem Chefredaktorenhirn grad einfällt. Sehr ärgerlich! Und objektiv ein blinder Fleck der sonst doch so statistikverliebten Verwaltungen. Woran misst dann die ganze Wirtschaftsförderung ihre Erfolge, wenn es keinerlei wirklich aktuelle Zahlen gibt zu den Beschäftigungszahlen?

Mir fällt zu Not nur noch die AHV ein als Datenquelle. Wenn wir als "BeschftigteN" definieren, wer in einem bestimmten Zeitabschitt AHV einbezahlt hat, dann müsste die kantonale Ausgleichskasse aus ihrem System die Zahl extrahieren können. Aber die Ausgleichskasse schloss heute bereits um 12, wie die gesamte Kantonsverwaltung, wegen des 1. Mai die Schalter.

Fortsetzung folgt. Vielleicht.

Nachtrag: Nicht einmal der "Wirtschaftsbericht 2012" des Regierungsrats nennt auch nur eine einzige absolute Zahl zu den Beschäftigten im Kanton. Dafür ventiliert er seeehr viiiel warme Luft! Und ohne eine einzige Zahl als Beleg orakelt er freihändig auf Seite 30:

Zudem überdeckt der Erfolg der LifeSciences-Industrie gewisse Schwächen in anderen Branchen, deren Entwicklung in den letzten rund 15 Jahren weder punkto Wertschöpfungswachstum noch punkto Beschäftigung mit der stärksten Branche mithalten konnten. Besonders bei der Beschäftigungsentwicklung weist Basel-Stadt Schwächen auf und konnte, über eine längere Frist betrachtet, nicht mit dem Nachbarkanton Basellandschaft oder mit anderen Schweizer Regionen mithalten.
In dem im August 2012 erstellten Dokument ist die aktuellste Aussage die auf Seite 1:
Die Zahl der Erwerbstätigen ist im Kanton Basel-Stadt zwischen 2008 und 2010 leicht um 0,5% p.a. gestiegen.
Natürlich ohne absolute Zahl oder Quellenangabe. Der Bericht erfüllt generell den Mindeststandard, dass Zahlenangaben per Referenz auf ihre Quelle belegt gehören, nicht. Diese Grundanforderung war den Autoren offenbar fremd. So könnte der "Wirtschaftsbericht 2012" frei erfunden sein, oder voller kreuzfalscher Zahlen stecken. Niemand würd's merken.

Offenbar geht das so durch bei Verwaltung und Regierung. Und auch das Parlament nickte den Wisch am 12.9.2012 ab.

NACHTRAG II, 2.5. 15:20: Peter Laube, Vize-Chef des Statistischen Amtes Basel-Stadt, erklärt die Sache freundlicherweise in einem Mail heute. Es ist so:

Zuerst zum Status Quo: Die Beschäftigungsstatistik (BESTA) ist eine vierteljährliche Stichprobenerhebung des Bundesamtes für Statistik, die Ergebnisse auf Ebene der sog. Grossregionen liefert. Die Grossregionen sehen folgendermassen aus.

Genferseeregion GE, VD, VS Espace Mittelland BE, FR, JU, NE, SO Nordwestschweiz AG, BL, BS Zürich ZH Ostschweiz AR, AI; GL, GR, SG, SH, TG Zentralschweiz LU, NW, OW, SZ, UR, ZG Tessin TI

Von der Möglichkeit einer kantonalen Erhöhung der BESTA-Stichprobe hat Basel-Stadt, wie übrigens die allermeisten Kantone abgesehen. Zum einen wären die Kosten sehr hoch, zum anderen die Belastung der vierteljährlich Auskunft gebenden Betriebe kaum zu verantworten. Vor allem aber kommt hinzu, dass mit der derzeitigen Neukonzeption der Betriebszählung die Beschäftigtenzahlen künftig jährlich, auch auf Kantonsebene vorliegen werden. Die Betriebszählung, neben der Volkszählung traditionell die andere grosse landesweite Vollerhebung im 10-Jahresrhythmus, fand ursprünglich in den 5-er Jahren (1975, 1985 …) statt. Um der sich schnell ändernden Wirtschaftsstruktur gerecht zu werden, wurde die Periodizität in den 90-er Jahren erhöht (1995, 1998, 2001, 2005, 2008). Mit dem Übergang von Erhebungen zu registerbasierter Statistik wurden die Daten von 2011 nicht mehr aufwändig durch das Bundesamt für Statistik bei allen Betrieben erhoben, sondern erstmals den AHV-Registern entnommen. Das ist ein Paradigmenwechsel, der zumindest in der Anfangsphase noch keine zeitliche Verbesserung bringt. Die Daten werden vorerst wie bisher nach rund zwei Jahren vorliegen, also vom Herbst 2011. Aber: Die Daten werden künftig jährlich zur Verfügung stehen und es ist davon auszugehen, dass sich die Zeit zwischen Stichtag und Publikation verringern dürfte.

Künftig werden somit jährlich detaillierte Daten zur Beschäftigung auf Kantonsebene vorliegen.

Ok. In Zukunft wird alles besser. Und die Fachleute sind auch darauf gekommen, man könnte bei der AHV die Daten holen... Aber irgendwie bleibt ein schaler Geschmack im Mund zurück, dass es bis dato tatsächlich keine (mindestens quartalsweise) aktuellen, effektiven Zahlen gibt über die Anzahl Beschäftigte (wenn möglich: nach Branchen) in Basel-Stadt. Das kann, auch für Statistikskeptiker, fast nur eines heissen:

Das Wirtschafts(und Sozial) und das Finanzdepartement fällen ihre wirtschaftspolitischen Entscheidungen (soweit sie überhaupt solche fällen) seit Jahr und Tag so gut wie im Blindflug! Die Wirtschaftsförderung hat keinerlei solide Erfolgskontrolle. Und: Dem Parlament war das bis anhin schnuppe.



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