Abt. Von Textmonstern und anderen Mostrositäten


Das mit wissenschaftlichen Texten ist so eine Sache. Schön, dass das die NZZ wieder einmal deutlich (oder sagen wir: mehr oder weniger deutlich) auf den Punkt bringt. Auf einer ganzen Seite mit dem Rubriktitel Erziehung & Bildung.

Bereits der Titel bringt es auf den Punkt:

"Die Textmonster der Wissenschaft", ...
... heisst es da. Und:
"Sagen, was Sache ist, und diese ohne Umschweife auf den Punkt bringen: Was Journalisten tagtäglich tun, ist den Geistes- und Sozialwissenschaften fremd."
Wer als Journalist solches von sich behauptet, muss natürlich gewähren, dass man seinen Text auch etwas unter die Lupe nimmt. Beginnen wir also beim Textanfang:
"Der moderne Hochschulprofessor muss neuerdings vieles sein: Forscher, Lehrer, Manager – und Kommunikator."
Der Professor! Was ist mit der Professorin? Ist natürlich mitgemeint, was sich unten auf der Seite bestätigen lässt. Denn dort ist es tatsächlich eine Frau (die Historikerin Caroline Arni), die sich in einem Interview über die neue Rolle des Hochschulprofessors äussert.

Der Autor des Artikels, Urs Hafner, beschränkt sich wiederholt auf die männliche Form ("der Leser", "die Jouranlisten"). Er habe damit verhindern wollen, dass sein Text selber zum Textmonster mutiert, könnte man einwenden. Tatsächlich wäre der ober zitierte Satz bei einer konsequenten geschlechtsneutralen Formulierung zu einem solchen geworden: Die modernen Hochschulprofessorinnen und -professoren müssen neuerdings vieles sein: Forscherinnen und Forscher, Lehrerinnen und Lehrer, Managerinnen und Manager – sowie Kommunikatorinnen und Kommunikatoren.

Also verzichtete er auf diese "Umschweife". Konsequent geht der Autor aber nicht vor. Denn bereits im dritten Satz tauchen dann "Staatsbürgerinnen und Staatsbürger" auf, manchmal ist von "Wissenschaftlern" die Reden, ein anderes Mal wiederum werden auch die "Wissenschaftlerinnen" erwähnt.

Bevor ich mich nun als penetranten Feministen bezeichnen lassen muss, wollen wir den Text noch kurz inhaltlich betrachten. Der journalistische Autor bemängelt bei den Texten der wissenschaftlich Schreibenden, dass sie langfädig seien:

"Das umständliche Darlegen des «Aufbaus», das langfädige Herleiten der ausgewählten Methode und Theorie, die Beteuerung, wie viele spannende Inhalte aus Platzgründen weggelassen werden mussten – all dies gilt als integraler Bestandteil der Arbeit, obschon doch ein guter Aufbau sich selbst erklärte, die Methode und Theorie nicht mehr als Hilfsmittel sind und das Problem der Auswahl eine Konstante eines jeden Lebens ist, vom Namen des Kindes bis zum Joghurt im Supermarktregal."
Aber sind diese kritisierten Punkte im Angesicht von Guttenberg und Co. denn nicht geradezu ein Muss für publizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler? ist denn diese ...
... "Inkommensurabilität von wissenschaftlichem und journalistischem Arbeiten" ...
... nicht etwas durchaus Vernünftiges.

Ja, und jetzt gebe ich zu, dass ich nachschlagen musste, um herauszufinden, dass "Inkommensurabilität" Unvergleichbarkeit heisst.

Oder wie sagt die Hochschulprofessorin im Interview so schön:

"Es ist paradox, hängt aber vermutlich zusammen: Im gleichen Mass, wie der Jargon wuchert, sinkt die Toleranz für stilistischen Eigensinn."
q.e.d.


Abt. lieber Mostrositäten...

...als Rostmositäten!

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