Barbara Engel im Bund:

Chavez’ Aktionen haben ohne Zweifel einen hohen Unterhaltungswert, doch zunehmend war bei ihm auch ein erschreckender Hang zum Totalitarismus zu beobachten. So hat seine Regierung das Abberufungsreferendum 2004 dazu missbraucht, die Namen der Oppositionellen zu registrieren. Geschichten über Repressionen gegen diese Leuten machen immer wieder die Runde. Ob wahr oder nicht, sie erzeugen ein Klima von Angst und Unsicherheit.

Der Durchmarsch in einen Führerstaat kann auch ganz demokratisch erfolgen. Zu messen sein wird Hugo Chávez nicht nur an der Anzahl der Wahlsiege. Sondern daran, wie er es mit den rechtsstaatlichen Institutionen hält, an denen er schon verschiedene Male herumzuschrauben drohte. Missliebigen Sendern die Lizenz zu entziehen, gehört nicht zum Instrumentarium eines rechtschaffenen Demokraten. Die entsprechende Warnung, die Chávez ausstiess, lässt aufhorchen. Bislang ist es allerdings nur eine Drohung, bis jetzt ist Venezuela ganz eindeutig kein Polizeistaat und schon gar keine Diktatur.

Er hat den angeblich spezifisch bolivarischen Sozialismus nie genau definiert, doch regiert er zu lange, als dass nicht erkennbar wäre, worum es geht: totale politische und institutionelle Kontrolle und nur die notwendige Freiheit, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen und die eher zu Konsum und Lebensgenuss als zu revolutionärer Ideologie neigenden Landsleute nicht zu verschrecken. Das Modell funktioniert, solange genügend Geld vorhanden ist, um ökonomischen Widersinn zu finanzieren und politische Loyalitäten zu erkaufen.

Sein klarer Sieg lässt den ehemaligen Fallschirmspringer-Offizier nun möglicherweise glauben, die Mehrheit des Volkes brenne darauf, an seiner Seite die von ihm propagierte nationalistisch-populistische Revolution zu vollenden. Das wäre ein Trugschluss: Selbst unter seinen Anhängern kann ein grosser Teil seiner Revolutionsrhetorik und den diffusen Vorstellungen von einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts wenig abgewinnen. Sie haben Chávez ihre Stimme hauptsächlich deshalb gegeben, weil er ihnen zu billigeren Lebensmitteln sowie zu einer unentgeltlichen medizinischen Grundversorgung verholfen hat.