Abt. Du bist Deutschland!


(SPIEGEL) Kuttner: Diese unzähligen "Neue Deutsche Welle"-Sampler, diese Diskussion, dass wir Deutschen jetzt wieder wer sind, dass wir stolz sein können auf die hiesige Szene und uns nicht mehr schämen müssen, deutsch zu singen: Hast du da einen Bezug zu?

Stuckrad-Barre: Ich verstehe den Standpunkt schon im Ansatz nicht: Dass man sich auf ein Land beziehen kann, stolz beziehungsweise wieder stolz sein darf, einer gewissen Nationalität anzugehören. Sehr wohl hat man sich sein Leben lang zu schämen als Deutscher, aber bitte auch als Österreicher oder Amerikaner. Bitte immer schämen, das ist genau richtig. Sich auf sein Land etwas einzubilden, nützt niemandem. Man kann und soll sein Land beschreiben, in einer Sprache seiner Wahl, aber mehr auch nicht. Man bleibt ja trotzdem eine Band aus vier Leuten, mehr ist doch gar nicht. Das andere ist Nationalismus und Dumpfheit. Da finde ich bei aller verquasten und oft unsympathischen Art von Tocotronic oder Blumfeld deren Verweigerung in diese Richtung sehr angenehm. Tocotronic haben diesbezüglich vor einigen Jahren eine Meisterleistung gebracht: Sie haben einen Viva-Comet abgelehnt, der ihnen verliehen worden war in der Kategorie "Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben". Unfassbar. Na, und da latschten dann diese drei Cordhosenjungs auf die Bühne: "Ähm, wisst ihr, wir sind eigentlich weder stolz darauf, jung zu sein noch deutsch." (...) Kuttner: Aber damit [gemeint das Buch "Soloalbum"] - Verzeihung, wenn ich das so sage - hast du auch aus Versehen den Weg für sehr viel Scheiße geebnet.

Stuckrad-Barre: Das ist aber nicht richtig. Man könnte bei dir auch sagen, dass du den Weg öffnest für Mädchen mit schiefen Haaren, die denken, frech zu reden und noch nicht genau wissen, wie der Satz endet. Das siebt sich nach ein, zwei Jahren auch aus, und dann geht es darum, ob der Nachahmer seinen Beruf wirklich machen will, was er zu melden hat und warum er das tut. Was mich betrifft, ist es wie mit der deutschen Musik: Ich habe weder eine Bewegung losgetreten noch sehe mich an irgendeiner Spitze. Ich bin asozialer Alleinkämpfer wie alle anderen. Für das, was hinterher kommt, ist man nicht verantwortlich.



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