Abt. Und alle so: "Yeah!" - heute: Constantin Seibt


Das Publikum gratuliert ihm im Netz allerorten zu seiner Tirade gegen die Neurechten, die er im letzten Satz, in der Pointe quasi, als "Feinde der Zivilisation" betitelt. Seibts "Feinde der Zivilisation" sind die Agenten jener Barbarei, deren Alternative Sozialismus heisst. Seibt beschreibt gekonnt einige Oberflächenphänomene des neurechten Erfolgs. Und zitiert gerne Krugman. Aber bei aller Eloquenz des Artikels blieb ich am Ende doch recht ratlos zurück. Weder las ich wirklich Neues. Noch Originelles. Noch Erhellendes. Dafür reichlich Wirres. Zufällig ausgewählte Beispiele für "Wirres": "Ausgerechnet die harten Kerle an der Macht, die sich deshalb als noch härtere Realisten sahen, wurden zu Träumern: zu Idealisten des Nichthandelns, zu Zen-Buddhisten im Chefbüro. (...) Die Führungspersönlichkeit des 21. Jahrhunderts ist: das Modeopfer. (...) Denn es ist ein Fehler der Linken und Liberalen, diese Parteien aus langer Gewohnheit heraus für Politiker zu halten. (...) Ökonomie ist keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst." Was will der Dichter mir sagen? Seibt prophezeit, es bleibe "kein Weg, die neurechte Wir-oder-Ihr-Position zu vermeiden". Es werde "ein langer, harter, zäher, frucht- und freudloser Kampf." "Blood, sweat and tears" sozusagen verspricht "Winston" Seibt. Als Rezept gegen die "Feinde der Zivilisation" rät er, man solle a) "genau hinsehen", die Linken und Liberalen dürften b) "nicht mehr eine Krise verschwenden" und man solle c) "die alten Konservativen ein wenig stärken". Dabei fielen diese Feinde der Zivilisation aber - auch in der Schweiz - nicht vom Himmel. Ihre Kaderschmieden und "Think Tanks" sind seit 10, 20, 30 und mehr Jahren aktiv (Wolfsberg, Avenir Suisse, Liberales Institut, WEF etc. pp.). Und jetzt, in den letzten vielleicht 5 bis 10 Jahren, geht deren Saat halt so richtig auf. Ihre Ideologie wird heute unhinterfragt und - seit 1989 sowieso - alternativlos gelehrt an ökonomischen Fakultäten von Universitäten, den vielfältigen Pendants an den Fachhochschulen, in Fort- und Weiterbildungsprogrammen, MBAs, Kaderkursen, Migros Klubschule (!) etc. pp. Die CAS, MAS, DAS und EMBAs à la "Betriebswirtschaft für NichtbetriebswirtschafterInnen", "Changemanagement" etc. sind Legion! In jedem werden kleine Seibt'sche Zivilisationsfeinde herangezüchtet. Ihre Zahl geht in die zehntausende. Schau Dir deren Absolventen in Deiner Umgebung ganz genau an. Sozialist oder Barbar? Du weisst es sofort! Die neuen Barbaren beherrschen das mittlere und obere Kader dieses Landes in Wirtschaft und Verwaltung in allen Sektoren. Sie reproduzieren sich laufend selber. Nur wer dieselbe Gehirnwäsche durchlaufen hat wie sie, darf zu und mit ihnen aufsteigen. Diesem hegemonialen Apparat hat die Linke an intellektueller Substanz, Analysefähigkeit und Anknüpfungspunkten was entgegenzusetzen? Ein paar Unentwegte im Umfeld von "Widerspruch", "Aufbau" und "Vorwärts", ein bisschen WoZ, ein bisschen Gewerkschaft, ein bisschen JuSo und PdA, zusammengerechnet ein halber Soziologieprofessor und eine Politologin im Exil. That's about it. Oder hab ich einen relevanten Hort des Widerstandes in West- oder Südschweiz vergessen? Mit dem kleinen Häuflein Versprengter wird das wahrlich ein - wie sagen Sie, Genosse Seibt? - "ein langer, harter, zäher, frucht- und freudloser Kampf" gegen die "Feinde der Zivilisation". Toitoitoi!


zur frage ...

... der hegemonie des neoliberalismus auch in unseren köpfen hat der frankokanadische film l'encerclement einiges klärend beizutragen. und nicht nur zu dieser frage. absolut empfehlenswert.

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natürlich hat die linke dem

was entgegen zu setzen. eine ganze menge sogar. nur leider leider passen diese intellektuellen widerstandsnester nicht hübsch auf eine waagschale, um die rechte brut als gegengewicht zumindest auszubalancieren. die linken gewichte sind so weiträumig (auch in gedankenräumen gemessen) verteilt wie eh und je. irgendwie eint sie das gleiche ziel - und der gleiche gegner. doch irgendwie schaffen sie es immer wieder, sich in absurden dogmatismen was weiss ich welcher prägung zu verbeissen, während in kaderschmieden, eliteunis, auf dem mont pellerin, in davos und wo sie sonst noch überall hocken die hirne der zivilisationsfeinde stramm auf rechts getrimmt werden. die kennen den weg, die kennen ihr ziel. und nichts hält sie auf. vor diesem hintergrund halte ich die kritik am seibt-artikel (auch wenn sie dem phänomen einige zusätzlichen nüancen abgewinnt) für kontraproduktiv.

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Eine emanzipatorische Linke,

die theoretisch wie praktisch was zu melden hätte, ist hierzulande kaum (mehr) vorhanden. Seibt interessiert sich allenfalls noch ästhetisch für ein solches Projekt; seine rhetorische Polemik will Distinktionsgewinne und Journalistenpreise, aber sicher keine kritische Analyse leisten. Denn eine solche würde zur narzistischen Kränkung führen, dass seine "Linke und Liberale" auch bloss eine Fraktion im Wettbewerb um einen Platz im oligarchischen Verwaltungsrat des Kapitals ist, deren Rezepte jenen der "Neuen Rechten" zurzeit hoffnungslos unterlegen sind. Kontraproduktiv ist einzig die Verteidigung der sinnlosen Warenproduktion und ihrer verwalteten Welt. Cheers.

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Encerclement

ist bestellt. Das Doodle für das Screening folgt...

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zu konstatieren einmal mehr: der Seibt muss die Infamisten einst saumässig vergrault haben. Bloss sitzen sie, was Klarheit im Ausdruck und Konsistenz in der Aussage betrifft, mindestens so saumässig im Glashäusle. Und träumen wie Bertholdle sel. weiter von "der Linken" als brauchbare Alternative.

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Seibt

uns vergrault, und drum kritisieren wir ihn? Manchmal ticken wir tatsächlich so einfach. Aber nur im echten Leben. Nie auf infamy. Ehrenwort. Als Hofnarr beim Tagi ist Seibt doch super?!?! Ansonsten: 1. Gerade weil wir im Glashaus sitzen, werfen wir mit Steinen! 2. Träumen tun wir nur im Schlaf. Nicht, wenn's um Politik geht!

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Kritik der Kritik der Kritik

Nun, an die Herren Kritiker des infamen Herrn Patpatpat - nein, ich habe ihn nie beleidigt, weil ich nicht die Ehre habe, ihn zu kennen, nur jene, ihn zu lesen. Und nein, ich halte seine Kritik auch nicht für kontraproduktiv.
Sondern im Gegenteil für ziemlich clever. Mr Patpatpat, Sie sind ein teuflisch genauer Leser.
Sie haben zwei Kritikpunkte: a) Durch Schwung getrarnter Schwurbel. b) Abgehobenheit von der politischen Realität in Sachen Mehrheitsverhältnisse. Beide haben Einiges für sich.
Zum ersten: Teufel nochmal, im Original war der Text eine ganze Menge länger. Er entstand in einer dunklen, durchwachten Nacht und enthielt noch einen langen, ruhigeren, analytischen Mittelteil über die Finanzkrise. Als der Morgen graute, sass ich sass ich entsetztvor einem drei Mal so langen Text wie geplant. Dann allerdings musste ich los, um das Kindchen zu hüten. Und überliess den unprofessionell langen Text den Abschlussredaktion zum Kürzen. (Etwas, was ich sonst nie tue - Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - aber eine 2-jährige kann den Tag nicht allein verbringen.)
Die Abschlussredaktion hat ihren mörderischen Job verdammt gut gemacht, aber es blieben paar lose Fäden: Das sind genau die Passagen, die Sie, Patpatpat, als "Was will der Dicher uns damit sagen" moniert.
Im Blog "Katalog von allem" von Florian Leu erscheint demnächst die extended Version, die einiges davon erklärt oder es versucht oder beim Versuch der Erklärung scheitert... Teufel, es ist nicht ganz einfach, die Weltwirtschaft in paar Sätzen auf den Punkt zu bekommen, finde ich.
Zum Zweiten weist Patpatpat auf die zentrale Leerstelle des Artikels hin. Kritisiert werden im Artikel (treffend oder nicht) nur die Bosse und Funktionäre der neuen Rechten, nicht aber das von Patpatpat beschriebene Fussvolk: und das ist keine kleine Auslassung. Immerhin sind es je nach Optimismus oder Pessimismus 30, 40, 51 Prozent der Bevölkerung - und ich gebe zu, darüber nachzudenken, ist unerfreulicher und verwickelter als den Funktionären eins über den Deckel zu geben.
Aber darüber zu schreiben, bleibt ja noch Zeit. Denn, wie gesagt, der Artikel war bereits viel zu lang und ein Kind brauchte seine Pulvermilch.
Congrats for your cleverness.

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Ich finde ...

... zwar, dass Herr Seibt im Allgemeinen massiv überschätzt wird. Doch im Land der Blinden ist der Einäugige König. Und mit der Replik auf die Kritik, beweist er echten Sportsgeist. Ab sofort werde ich seine Texte wohlgesonnener lesen. Reschpäckt!

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Aber aber...

So viel Häme um Constantin Seibt den altlinken Muff um die Ohren zu schlagen?? Obwohl er sich lobenswerterweise doch genau solche "Lösungsrezepte" ganz und gar verkniffen hat!

Und warum sollen die Wirtschaftslenker nicht gleichzeitig Träumer und Machtmenschen sein - auch wenn das nicht "logisch" scheint? Hej, wir befinden uns im echten Leben, nicht in einem politischen oder philosophischen Seminar! Das ist also nicht "wirr", sondern doch eigentlich die Regel - nicht nur bei Oberbossen.

Mir scheint diese Charakterisierung jedenfalls treffender als so manche Analyse, die in diesen Menschen wache, klar denkende und realistisch analysierende Persönlichkeiten sieht. Und diese Tatsache lässt in der Tat auch mich ratlos zurück - nicht der Artikel, der diesen Sachverhalt nur beschreibt.

Denn wie soll man mit solchen Leuten überhaupt noch reden?

In GB probieren sie's ja gerade mit Häuser anzünden und Läden plündern, aber das wird noch weniger funktionieren - im Gegenteil: So werden die Leute erst recht nicht ernst genommen. Ein wenig mehr Polizei und aus ist der Spuk - und kein einziges Problem gelöst...

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Der

"Dirctor's Cut" is out. Wir schwenken den Hut zum Grusse in Richtung Herrn Seibt und danken höflichst für den Besuch in unserer ärmlichen Hütte, genannt infamy, und den sehr freundlichen Eintrag im Gästebuch!
Ein Vorschlag zur Güte: Wenn die Welt dann noch steht, treffen wir uns alle im Spätherbst, kurz nach den Wahlen, mal zu einem Screening des "Encerclement" (den muss man, glaub ich, tatsächlich gesehen haben. Merci für den Hinweis, empe!) im kleinen Kreis und überlegen uns danach, wie weiter. Oder wohin emigrieren.

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Ihr Vorschlag...

... klingt wie der berühmte Satz vom Hundehändler Schwejk, als er beim Ausbruch des ersten Weltkriegs von den mobilmachenden österreichischen Truppen eingezogen wird: "Wir treffen uns nach dem Krieg im "Krug", um sechs Uhr."
Nicht schlecht.

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Der

Schirrmacher hat jetzt auch den Moore gelesen.
Den Schwejk-Vorwurf lass ich so nicht auf mir sitzen! Sobald die DVD da ist, kriegen Sie 'ne Einladung zum öffentlichen Screening und zur Teilnahme an der anschliessenden Podiumsdiskussion unter dem Titel "Die Grundfesten erschüttern: Für eine andere Schweiz jetzt (noch vor den Wahlen)!"

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Und der Misik

kommentiert dazu heute auf WDR3 und auf seinem Blog, bezugnehmend auf Seibt.

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Nachdem die Neoliberalen sogar die Renten

ihrer Enkel verpfändet haben, geht ihnen ein Licht auf. Chapeau!

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