Donnerstag, 2. Februar 2012


Abt. Von Abenteuermigranten und Abenteuerjournalismus


Das Ganze ist eine Art Lehrstück einer Medienpraxis und -rezeption, die von aufgeplusterten Details geprägt ist, hinter der eine Kampagne stecken mag oder auch nicht, die aber auf alle Fälle für falsche Bilder und Missverständnisse sorgt.

Die Akteure in diesem Stück sind der Leiter Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt, Thomas Kessler, die "Basler Zeitung", der "Tages-Anzeiger", der "Blick" und die Basler Regierung.

Thomas Kessler gibt im Tages-Anzeiger und im Blick Interviews, in denen er Kritik übt an den langwierigen Asylverfahren in der Schweiz:

"Die Behörden geben selber zu, dass sie den Überblick verloren haben. Das sieht man auch in den Kantonen so, beim Grenzwachtkorps und in den Beratungsstellen für Asylsuchende. Die Fachleute sind sich einig, unabhängig von ihrer Funktion, sogar unabhängig von ihrer politischen Haltung: Wenn die 90 Prozent der Asylsuchenden, die im Sinne unseres Asylgesetzes keine Flüchtlinge sind, trotzdem durchschnittlich 1411 Tage bei uns bleiben, ist das eine Belastung für alle. Und je länger diese Menschen bleiben, desto schwieriger wird ihre Rückschaffung, desto mehr häufen sich bei ihnen psychische und körperliche Probleme. Die echten Flüchtlinge sitzen derweil im Südsudan unter unvorstellbaren Bedingungen fest. Diesen Menschen muss man vor Ort oder mit Kontingenten helfen."
... sagt er im Tagi. Und im Blick lässt er sich u.a. so zitieren:
"Meine Erkenntnisse beruhen auf Gesprächen mit Verantwortlichen der Grenzwache, von Asylberatungsstellen bis zum Arbeiterhilfswerk und dem Bundesamt für Migration. Zur aktuellen Situation direkt befragt schätzen alle aktuell mehr als 90 Prozent Wirtschafts- und Abenteuermigranten."

Unter anderem prangt Kessler die Rolle des ehemaligen Bundesrats Christoph Blocher an, der als Justizminister viel dazu beigetragen habe, dass es zu den misslichen Verfahrensumständen kam:

"Christoph Blocher nutzte die sinkende Zahl von Asylgesuchen nach den Balkankriegen für einen Kapazitätsabbau. Das gefiel seinen Anhängern. Dass Fachleute davon abrieten, war ihm egal. Widmer-Schlumpf wollte mit Reorganisationen mehr aus der Verwaltung herausholen. Sommaruga traue ich den notwendigen Umbau der Asylpolitik zu."
Die "Basler Zeitung" nimmt nun das Interview und den Blick-Artikel auf ("Thomas Kessler verärgert die eigene Regierung "). Sie tut zumindest so, denn eigentlich geht es ihr nur um eine einzige Aussage aus dem langen Gespräch (Zitat aus der "Basler Zeitung"):
"Als «Abenteuermigranten», die «Gelegenheiten für Obdach, Essen, Geld, Party mit Alkohol und Frauen» suchen, bezeichnete Thomas Kessler, ehemaliger Basler Integrationsbeauftragter, 90 Prozent der Asylbewerber gegenüber dem Onlineportal Blick.ch. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» hatte der Leiter der Basler Kantons- und Stadtentwicklung die Asylverfahren zuvor als «kafkaesk» betitelt."
In der BaZ geht es weniger um den Inhalt des Gesprächs, sondern um die Tatsache, dass Kessler mit seinen Aussagen in der Basler Regierung angeeckt sei. Wirklich? Denn sein Chef, Regierungspräsident Guy Morin, gibt in der BaZ zu Protokoll:
"Regierungspräsident Morin erklärte gestern der BaZ, er habe das «Tages-Anzeiger»-Interview vor der Veröffentlichung gesehen: «Inhaltlich hat er damit den Nagel auf den Kopf getroffen.» Thomas Kessler sei ein ausgewiesener Fachmann in Asylfragen und er habe hier ein Thema angesprochen, das die Schweiz bewege. Morin stellt sich hinter die Kernaussagen Kesslers.
Und auch Regierungsrat Christoph Brutschin, der im Artikel aus Hauptkritiker von Kessler angeführt wird, gibt sich eigenbtlich recht zurückhaltend:
"«So zugespitzt hätte ich die Problematik selber nicht formuliert», sagte der SP-Regierungsrat. Die Forderung, dass der Bund alles daran setzen müsse, damit die Verfahrensfristen kürzer werden, sei aber richtig."
Wer also steht für das Anecken (bzw. wie kommt die BaZ darauf)?:
"Aus der Regierung heraus war zu erfahren, dass sich einzelne Mitglieder sehr über die eigenwillige Informationspolitik von Kessler geärgert haben und von seinem Chef Guy Morin eine härtere Führung seines Präsidialdepartementes forderten. Dass sich ein Chefbeamter so weit aus dem Fenster lehne, sei schlicht inakzeptabel."
Auch die scheinbare Erzürnung auf Bundesebene lässt sich im Artikel nicht näher belegen.
"Auch im Bundeshaus wurden die Äusserungen Kesslers nicht gut aufgenommen. Die Informationschefin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, Christine Stähli, wollte die Aussagen von Thomas Kessler nicht kommentieren, betonte aber, dass sich das Departement in Basel nicht beschwert habe."
Da steht nicht beschwert! Nicht einmal die eigentliche Migrationsbeauftragte von Basel-Stadt, Nicole von Jacobs, mag sich negativ äussern; sie stelle sich laut BaZ im Gegenteil hinter die Aussage Kesslers.

In mittlerweile 86 Kommentaren auf bazonline ist Kesslers verkürzte Aussage auf breite und praktisch einhellige Zustimmung gestossen, eine Zustimmung, die er wohl von Vielen nicht erhalten hätte, wenn sie das ganze Interview im "Tages-Anzeiger" gelesen hätten:

"Bravo Hr. Kessler. Wir sind das Volk und wollen Bescheid wissen, was in unserem Land vor sich geht."
Oder:
"Was Kessler heute im BaZ Artikel festhält, gilt schon seit den Balkankriegen, leider getraute sich damals niemand so deutlich und öffentlich darüber zu schreiben."
Nur dass Kessler selber gar nicht zu Wort kommt im BaZ-Artikel. Denn wie bereits erwähnt: Das war im Blick" und im Tagi.


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Abt. Jungblut für das Historische Museum


Stabsübergabe: Der alte Direktor des Museums, Burkard von Roda, reicht seiner Nachfolgerin, Marie-Paule Jungblut, die Hand.

Ich weiss, man sollte mit Namen keine Scherze treiben. Tue ich ja auch nicht. Die neue Direktorin des Historischen Museums Basel heisst nun mal so: Marie-Paule Jungblut. Nun wirklich ganz ganz jung ist sie nicht mehr (Jahrgang 1964), aber sie denkt – so scheint es – jünger. Oder besser frischer. Weniger als Kunsthistorikerin (das sie im Nebenfach studiert hat) denn als Historikerin (das ist sie).

Regierungspräsident Guy Morin zeigt sich begeistert von der gewählten neuen Direktorin, die ihr Amt im Augst antreten wird und die von der Findungskommission einstimmig vorgeschlagen wurde:

"Die Wahl eröffnet die Möglichkeit der Weiterentwicklung des Museums in Richtung Zeitgeschichte"
... sagte Morin heute kurz vor Mittag an einer Medienkonferenz. Das Historische Museum Basel solle sich, ohne die Sammlung zu vernachlässigen, stärker als Geschichts- und Stadtmuseum profilieren.

Jungblut bestätigt Morins Wunsch:

"Das Museum soll im Idealfall ein Ort der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Gegenwart einer Stadt sein."
... sagte sie und fügte aber gleich hinzu, dass sie die neue Dauerausstellung als eine der schönsten ihrer Art empfinde.

Immer wieder aber nannte sie das Historische Museum Basel "Stadtmuseum", ein Museum, das möglichst viele Menschen anziehen soll (Banker und Obdachlose), ein Haus, das auch mal auf ungewöhnliche Art Geschichte zu vermitteln habe und Themen auch provokativ behandeln könne.

Das klingt ganz vielversprechend, auch wenn die Arbeit der Neuen natürlich erst dann beurteilt werden kann, wenn sie stattgefunden haben wird. Aber die Wahl der Historikerin aus Luxembourg, wo sie am Musee d'Histoire und am neuen Kunstmuseum der Stadt als stellvertretende Direktorin tätig war, ist als deutliches Zeichen der Politik zu verstehen, die mehr zeitgenössische Geschichte und Geschichtsvermittlung am Museum haben möchte.

Wo und wie das mit den beschränkten Mitteln möglich sein könnte, ist aber noch unklar. Morin nannte als Idee das Haus zum Kirschgarten, das sowieso renoviert werden müsste. Wie sehr sich die Vermittlung von Zeitgeschichte mit einem historischen Haus verträgt, das vor allem durch seine Porzellanfiguren- und Uhrensammlung zu brillieren vermag, steht allerdings auf einem anderen Blatt.


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